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Arbeitsrecht
Rückzahlung von Fortbildungskosten
hier: Fortbildungsdauer bis 1 Monat

Bundesarbeitsgericht (BAG)
Urteil vom 05.12.02
(6 AZR 539/01)
BAGE 104, 125
DB 2003, 887


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Leitsätze:
1.  Die Dauer einer Fortbildung ist ein Indiz für die Qualität der erworbenen Qualifikation. Dauert sie nicht länger als 1 Monat und zahlt der Arbeitgeber während dieser Zeit das Entgelt des Arbeitnehmers fort, ist in der Regel nur eine Bindung des Arbeitnehmers bis zu 6 Monaten zulässig.
 
2.  Die Höhe der vom Arbeitgeber bezahlten Reise- und Hotelkosten sowie die Höhe des fortgezahlten Entgelts ist kein Indiz für die dem Arbeitnehmer durch die Teilnahme an der Fortbildungsmaßnahme erwachsenen beruflichen Vorteile.
 
 
  
   aus den Entscheidungsgründen:   
  "Einzelvertragliche Abreden, wonach vom Arbeitgeber aufgewendete Fortbildungskosten vom Arbeitnehmer zurückzuzahlen sind, wenn dieser das Arbeitsverhältnis vor Ablauf einer bestimmten Frist beendet, sind grundsätzlich zulässig (BAG, Urteil vom 16.03.1994; BAG, Urteil vom 06.05.1998; BAG, Urteil vom 25.04.2001). Ausnahmsweise können derartige Zahlungsverpflichtungen wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter dem Gesichtspunkt einer übermäßigen Beeinträchtigung der arbeitsplatzbezogenen Berufswahlfreiheit des Arbeitnehmers (Art.12 Abs.1 Satz 1 GG) unwirksam sein.

Daher muss eine Rückzahlungsverpflichtung bei verständiger Betrachtung einem billigenswerten Interesse des Arbeitgebers entsprechen. Andererseits muss der Arbeitnehmer mit der Fortbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung für die Rückzahlungsverpflichtung erhalten haben. Insgesamt muss dem Arbeitnehmer die Erstattungspflicht zuzumuten sein. Die für den Arbeitnehmer tragbaren Bindungen sind auf Grund einer Güter- und Interessenabwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter Heranziehung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln (BAG, Urteil vom 25.04.2001).

Das Interesse des Arbeitgebers, der seinem Arbeitnehmer eine Fortbildung finanziert, geht dahin, die vom Arbeitnehmer erworbene Qualifikation möglichst langfristig für den Betrieb nutzen zu können. Es gestattet dem Arbeitgeber grundsätzlich, als Ausgleich für seine finanziellen Aufwendungen von dem sich abkehrenden Arbeitnehmer die Kosten der Fortbildung ganz oder abhängig von der Verweildauer im Betrieb anteilig zurückzuverlangen (BAG, Urteil vom 06.05.1998).

Die berechtigten Belange des Arbeitgebers sind gegen das Interesse des Arbeitnehmers abzuwägen, seinen Arbeitsplatz ohne Belastung mit Kosten frei wählen zu können. Die Abwägung hat sich insbesondere daran zu orientieren, ob und inwieweit der Arbeitnehmer mit der Fortbildung einen geldwerten Vorteil erlangt (BAG, Urteil vom 16.03.1994; BAG, Urteil vom 21.11.2001). Eine Kostenbeteiligung ist ihm umso eher zuzumuten, je größer der mit der Fortbildung verbundene berufliche Vorteil ist. (...)

Auch bei beruflichen Vorteilen für den Arbeitnehmer müssen Fortbildungs- und Bindungsdauer in einem angemessenen Verhältnis stehen. Die Höhe der Arbeitgeberaufwendungen und die Qualität der erworbenen Qualifikation hängen regelmäßig von der Dauer der Fortbildung ab (BAG, Urteil vom 21.11.2001). Obwohl gerade die Dauer der Fortbildung ein starkes Indiz für die Qualität der erworbenen Qualifikation ist, kann im Einzelfall auch bei kürzerer Fortbildung eine verhältnismäßig lange Bindung gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber ganz erhebliche Mittel aufwendet oder die Teilnahme an der Fortbildung dem Arbeitnehmer überdurchschnittlich große Vorteile bringt (BAG, Urteil vom 15.12.1993).

Die Bemessung der Bindungsfrist nach der Dauer der jeweiligen Bildungsmaßnahme beruht danach nicht auf rechnerischen Gesetzmäßigkeiten, sondern auf richterrechtlich entwickelten Regelwerten, die einzelfallbezogenen Abweichungen zugänglich sind (BAG, Urteil vom 06.09.1995). So hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts angenommen, dass bei einer Fortbildungsdauer bis zu 2 Monaten ohne Verpflichtung zur Arbeitsleistung im Regelfall höchstens eine einjährige Bindung vereinbart werden kann (BAG, Urteil vom 15.12.1993). Dieser Richtwert wird Rückzahlungsvereinbarungen, denen weitaus kürzere Fortbildungsmßnahmen zugrunde liegen, nicht gerecht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wie der Rechtssicherheit erfordert eine weitere Abstufung. Eine Fortbildung, die nicht länger als 1 Monat dauert, rechtfertigt regelmäßig nur eine Bindung des Arbeitnehmers bis zu 6 Monaten.

(...)

Einzelvertragliche Rückzahlungsklauseln, die den Arbeitnehmer unzulässig lange binden, sind in entsprechender Anwendung von § 139 BGB auf die zulässige Bindungsdauer zu reduzieren und aufrechtzuerhalten (BAG, Urteil vom 15.05.1985; BAG, Urteil vom 16.03.1994). Die geltungserhaltende Reduktion muss nach den Umständen des Einzelfalls dem mutmaßlichen Parteiwillen entsprechen. Maßgebend ist, welche Frist die Parteien bei Kenntnis der Unzulässigkeit der vereinbarten Bindungsdauer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verabredet hätten. In der Regel ist davon auszugehen, dass sie die längste, gerade noch zulässige Frist gewählt hätten."
 

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