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Arbeitsrecht
Kündigung des Arbeitgebers
Kündigungsschutz in der Wartezeit

Bundesarbeitsgericht (BAG)
Urteil vom 22.05.03
(2 AZR 426/02)
NZA 2004, 399


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aus den Entscheidungsgründen:  (ab Rdnr.26)
  "II. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei nicht nach § 242 BGB unwirksam, ist entgegen der Auffassung der Revision im Ergebnis nicht zu beanstanden. Aus dem unstreitigen Sachverhalt und dem eigenen Vorbringen des Klägers ergibt sich kein Treueverstoß.

1. Eine Kündigung verstößt dann gegen § 242 BGB und ist nichtig, wenn sie aus Günden, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind, Treu und Glauben verletzt. Dies gilt jedenfalls für eine Kündigung, auf die wegen Nichterfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 Abs.1 KSchG das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, weil sonst für diese Fälle über § 242 BGB der kraft Gesetzes ausgeschlossene Kündigungsschutz doch gewährt werden und außerdem die Möglichkeit des Arbeitgebers eingeschränkt würde, die Eignung des Arbeitnehmers für die geschuldete Tätigkeit in seinem Betrieb während der gesetzlichen Wartezeit zu überprüfen (...). Welche Anforderungen sich aus Treu und Glauben im einzelnen ergeben, lässt sich dabei nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles entscheiden. Zu den typischen Tatbeständen einer treuwidrigen Kündigung zählen Rechtsmissbrauch und Diskriminierungen (...).

2. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen derjenigen Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergibt, liegt beim Arbeitnehmer (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.02.01). Ergibt sich aus seinem Vorbringen ein Treueverstoß des Arbeitgebers, muss dieser sich nach § 138 Abs.2 ZPO qualifiziert auf das Vorbringen des Arbeitnehmers einlassen, um es zu entkräften. Kommt der Arbeitgeber dieser sekundären Behauptungslast nicht nach, gilt der schlüssige Sachvortrag des Arbeitnehmers gemäß § 138 Abs.3 ZPO als zugestanden.

3. Die Kündigung ist nicht wegen Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB unwirksam.

Die Rechtsausübung kann missbräuchlich sein, wenn ihr kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt. Das ist dann der Fall, wenn die Ausübung des Rechts als Vorwand dient, um vertragsfremde oder unlautere Zwecke zu erreichen (...).

(...)

4. Die Kündigung beinhaltet keine nach Art.3 Abs.3 Satz 1 GG oder Art.3 Abs.1 GG verbotene Benachteiligung. Zum einen hat der Kläger nicht dargetan, dass einer der übrigen als Hilfsgärtner eingestellten Arbeitnehmer ebenfalls Bestattungsarbeiten abgelehnt und die Beklagte dies hingenommen hätte. Im übrigen erfolgte die Kündigung aus sachlichen, nämlich arbeitsvertragsbezogenen Gründen.

a) Art.3 Abs.3 Satz 1 GG verbietet unter anderem Benachteiligungen wegen der Herkunft, des Glaubens und der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen. Diese Merkmale dürfen nach Art.3 Abs.3 Satz 1 GG grundsätzlich nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden (...). Die Beklagte hat mit der Kündigung nicht unmittelbar an die genannten Merkmale angeknüpft, sondern an die Weigerung des Klägers, die ihm abverlangte Arbeitsleistung zu erbringen. Allerdings ist der vom Käger geltend gemachte Grund für die Weigerung mit seinen weltanschaulichen Vorstellungen verbunden, die ihrerseits von seiner Herkunft nicht getrennt werden können. Mittelbar hat die Kündigung ihre Ursache darin, dass der Käger der Gruppe der Sinti angehört. Ob darin eine nach Art.3 Abs.3 Satz 1 GG verbotene Benachteiligung liegt, kann dahinstehen. Mittelbare Benachteiligungen unterfallen jedenfalls dann nicht dem Verbot des Art.3 Abs.3 Satz 1 GG, wenn sie durch sachliche Gründe bedingt sind, die nichts mit dem verbotenen Unterscheidungsmerkmal zu tun haben (...).

So liegt der Fall hier. Zu den Aufgaben der Beklagten gehört es, Friedhöfe zu unterhalten. Hierfür braucht sie Arbeitnehmer, die Bestattungsarbeiten ausführen. Es kann ihr nicht verwehrt werden, Arbeitnehmer zu diesem Zweck einzustellen. Wenn sie einen unstreitig zu diesem Zweck eingestellten Arbeitnehmer wie den Kläger deshalb entlässt, weil er sich entgegen vorheriger Erklärung doch nicht in der Lage sieht, die vereinbarten Arbeiten auszuführen, so ist dies ein plausibler, auf das Arbeitsverhältnis und den betrieblichen Zweck, zu dem es eingegangen wurde, bezogener Grund. Die Bereitschaft des Klägers, auch Bestattungsarbeiten auszuführen, stellte eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung dar (...). Der Arbeitgeber, der einem Arbeitnehmer kündigt, weil dieser eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung entgegen seiner Zusicherung bei Vertragsschluss nicht erfüllt, handelt nicht treuwidrig.

b) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG) verbietet Ungleichbehandlungen, für die es keine hinreichenden sachlichen Gründe gibt (...). Wie ausgeführt, beruht im Falle des Klägers eine etwa vorhandene Ungleichbehandlung auf arbeitsvertragsbezogenen, sachlichen Gründen.

5. Die Kündigung ist auch nicht, wie die Revision meint, deshalb nach § 242 BGB unwirksam, weil die Beklagte die nach Art.4 Abs.1 GG unverletzliche Gewissensfreiheit missachtet ätte. Zu Unrecht macht die Revision geltend, die Beklagte habe dem Kläger Bestattungsarbeiten nicht zuweisen dürfen und die Weigerung des Klägers nicht zum Anlass der Kündigung nehmen dürfen. Die Beklagte durfte dem Kläger die Bestattungsarbeiten zuweisen. (...)"
 

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