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Begründung zum Justizmodernisierungsgesetz

-->  Gesetzentwurf  (mit Begründung)

B. Einzelbegründung

Artikel 1 (Änderung der Zivilprozessordnung)

zu Nummer 14 - § 411a  (neu)

Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens aus einem anderen gerichtlichen Verfahren ist in einem Rechtsstreit nach bisheriger Rechtslage nur eingeschränkt möglich. Sie ist zwar grundsätzlich zulässig, erfolgt jedoch nicht als Sachverständigenbeweis, sondern ausschließlich als Urkundenbeweis (BGH vom 22. April 1997, NJW 1997,3381; BGH vom 26. Mai 1982, NJW 1983,121; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, Rdnr.54 vor § 402; MüKo-Damrau, ZPO, Rdnr.8 zu § 402; Zöller-Greger, ZPO, Rdnr.6d zu § 402). Die Beweiskraft und Verwertbarkeit dieses Urkundsbeweises werden in der Praxis unterschiedlich beurteilt.

Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass das Gericht sich bei der Verwertung des Gutachtens lediglich die Notwendigkeit, gegebenenfalls ein Obergutachten gemäß § 412 einzuholen, bedenken muss (BGH vom 13. Dezember 1962, VersR 1963,195; Zöller-Greger, ZPO, Rdnr.6d zu § 402). Die Gegenansicht vertritt die Auffassung, der Antrag einer Partei, einen Sachverständigen im gegenwärtigen Rechtsstreit zu benennen, könne nicht schon mit dem Hinweis auf das bereits vorliegende Gutachten abgelehnt werden (BGH vom 26. Mai 1982, NJW 1983,121; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, Rdnr.55 vor § 402). Vermitteln wird die Ansicht vertreten, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens dann erforderlich sei, wenn die urkundenbeweislich herangezogenen Ausführungen nicht ausreichten, um die von einer Partei angesprochenen, aufklärungsbedürftigen Fragen zu beantworten (BGH vom 22. April 1997, NJW 1997,3381).

Die Beweiskraft eines Sachverständigengutachtens aus einem anderen gerichtlichen Verfahren ist jedenfalls beschränkt, da es sich auch bei gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten in der Regel nicht um Dokumente handelt, die als öffentliche Urkunden den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen gemäß § 418 begründen. Das Sachverständigengutachten erbringt aus diesem Grunde nur den Beweis dafür, dass die in ihm enthaltenen Erklärungen von dem Sachverständigen abgegeben worden sind. In der Praxis ist daher nach bisheriger Rechtslage häufig die Einholung eines weiteren gerichtlichen Sachverständigengutachtens erforderlich, wenn eine Partei der Verwertung eines vorangegangenen gerichtlichen Sachverständigengutachtens nicht zustimmt. Dies führt bei Prozessen, in denen der zu klärende Lebenssachverhalt im wesentlichen der gleiche ist - etwa bei Mietprozessen gegen eine größere Gesellschaft als Vermieterin oder bei Unfällen mit mehreren Geschädigten - zu einem unnötigen Mehraufwand sowohl für das Gericht als auch für die Parteien. Durch die Neuregelung kann dieser Mehraufwand vermieden werden, indem eine Verwertung des verfahrensfremden Gutachtens als Sachverständigenbeweis zugelassen wird. Ob das erkennende Gericht der Verwertung eines verfahrensfremden Gutachtens oder aber der Einholung eines neuen Sachverständigenbeweises den Vorzug gibt, obliegt seinem pflichtgemäßen Ermessen und hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die sich genereller Normierung im Gesetz entziehen. Wird die Verwertung eines verfahrensfremden Gutachtens von einer Partei beantragt, hat das erkennende Gericht sowohl im Falle der Verwertung als auch im Falle der Neubegutachtung die ermessensleitenden Umstände im Urteil darzulegen. Die Verwertung ist auch von Amts wegen möglich, entweder auf einen Beweisantrag einer Partei, ein Sachverständigengutachten einzuholen, oder auf eine entsprechende gerichtliche Initiative gemäß § 144 Abs.1. Die Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der Parteien aus den Vorschriften über den Beweis durch Sachverständige nach §§ 402ff. bleiben durch die erweiterte Verwertungsmöglichkeit unberührt. Insbesondere bleibt es den Parteien unbenommen, einen Sachverständigen aufgrund der Besorgnis der Befangenheit binnen der gesetzlichen Frist gemäß § 406 abzulehnen sowie bei dem erkennenden Gericht um mündliche Erläuterung des Sachverständigengutachten nachzusuchen, die das Gericht gemäß § 411 Abs.3 anordnen kann.
 
 

Rechtsanwalt Arne Maier, Am Kronenhof 2, 73728 Esslingen