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Arbeitsrecht
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
Benachteiligung wegen des Geschlechts
Entschädigung wegen geschlechtsbezogener Diskriminierung bei Einstellung
§ 611a BGB a.F.

Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
Beschluss vom 21.09.06
(1 BvR 308/03)
"männliche Bewerber bevorzugt"
NJW 2007, 137
NZA 2007, 195


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   aus den Entscheidungsgründen:   
  "Der Nachweis einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung wird durch die Beweislastregel des § 611a I 3 BGB erleichtert. Diese Beweislastregel bezieht sich auf den Benachteiligungsgrund, also auf die Tatsache der Benachteiligung gerade aus geschlechtsspezifischen Gründen. Wenn die geschlechtsspezifische Benachteiligung nicht offen zu Tage tritt, muss der Arbeitnehmer zunächst Tatsachen glaubhaft machen, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten lassen. Es genügt die Überzeugung des Gerichts von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen Geschlechtszugehörigkeit und Nachteil. Solche Vermutungstatsachen können in Äußerungen des Arbeitgebers bzw. anderen Verfahrenshandlungen begründet sein, die die Annahme einer Benachteiligung wegen des Geschlechts nahelegen. Ist die Benachteiligung aus geschlechtsspezifischen Gründen überwiegend wahrscheinlich, muss nunmehr der Arbeitgeber den vollen Beweis führen, dass die Benachteiligung aus rechtlich zulässigen Gründen erfolgte (BAG, Urteil vom 05.02.04).

Zur Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers führt beispielsweise die Verletzung des Gebots zur geschlechtsneutralen Stellenausschreibung gemäß § 611b BGB (BVerfG, Beschluss vom 16.11.93). Ein solcher Verstoß begründet grundsätzlich die Vermutung, dass ein Arbeitnehmer eines bestimmten Geschlechts, unabhägig davon, ob noch andere Gründe für die Einstellungsentscheidung maßgeblich waren, wegen seines Geschlechts benachteiligt worden ist (BAG, Urteil vom 27.04.00; BAG, Urteil vom 05.02.04).

(...)

Mit der Bezugnahme auf den Text der im Online-Stellendienst der Bundesanstalt für Arbeit erschienenen Anzeige, die auf eine offene Ausbildungsstelle bei der Beklagten und eine Bevorzugung männlicher Bewerber hinwies, hat die Bewerberin Tatsachen glaubhaft gemacht, die geeignet waren, eine Benachteiligung wegen des Geschlechts gemäß § 611a I 3 BGB vermuten zu lassen. Es handelte sich hierbei um eine gegen § 611b BGB verstoßende Stellenausschreibung, die die Vermutung begründen konnte, die Bewerberin sei wegen ihres Geschlechts von der Beklagten abgelehnt und somit bei einer Stellenbesetzung benachteiligt worden.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat sich dieser Erkenntnis bereits deshalb verschlossen, weil es als benachteiligende Maßnahme i.S.d. § 611a I 1 BGB fälschlich nicht die zweifellos der Beklagten zuzurechnende Zurückweisung der Bewerbung, sondern die Aufnahme des Hinweises auf eine Bevorzugung männlicher Bewerber in die Stellenanzeige angesehen und geprüft hat, ob die darin liegende geschlechtsbezogene Benachteiligung von der Beklagten veranlasst und gewollt war. Diese Rechtsanwendung beruht auf einem grundlegenden Fehlverständnis der Norm, da die benachteiligende Maßnahme i.S.d. § 611a I 1 BGB und die Vermutungsbasis für einen geschlechtsbezogenen Benachteiligungsgrund i.S.d. § 611a I 3 BGB verwechselt wurden.

Ausgehend von diesem verfehlten Standpunkt hat das Landesarbeitsgericht den Verantwortungsbereich der Beklagten für die auf ihre Ausbildungsstelle hinweisende Stellenausschreibung zu eng gezogen, indem es davon ausgegangen ist, dass die Beklagte den Zusatz 'Männliche Bewerber bevorzugt' nicht gewollt bzw. nicht in zurechenbarer Weise veranlasst habe und dass deshalb der Tatbestand des § 611a BGB nicht erfüllt sei. Diese Sichtweise würde es dem potenziellen Arbeitgeber ermöglichen, die Verantwortung für ein geschlechtsneutrales Verhalten bei Ausschreibungen, die ihm durch § 611b BGB auferlegt ist, durch die Behauptung, andere Personen seien für den Inhalt der Ausschreibung verantwortlich, auf Dritte abzuwälzen. Damit würde der grundsätzlich anerkannte Indizwert einer Stellenausschreibung ausgehebelt. Der Bewerber wird in der Regel kaum in der Lage sein zu ermitteln, wie es im Einzelnen zu der Stellenausschreibung gekommen ist und ob Zeugen vorhanden sind, welche die Behauptung des Arbeitgebers, der Text der Anzeige gehe nicht auf seine Veranlassung zurück, widerlegen können. Dadurch wäre die Möglichkeit, sich auf eine vom Arbeitgeber zu verantwortende Stellenausschreibung als Vermutungsbasis für eine geschlechtsbezogene Diskriminierung zu berufen, erheblich eingeschränkt. Der Arbeitgeber kann die Gesetzmäßigkeit der Ausschreibung ohne Weiteres überwachen. Ihn trifft im Falle der Fremdausschreibung eine entsprechende Sorgfaltspflicht (BAG, Urteil vom 05.02.04). Das LAG hat demgegenüber fälschlich angenommen, es sei nicht Aufgabe der Beklagten gewesen, die Ausschreibungen in der elektronischen Stellenbörse der Bundesanstalt für Arbeit zu überprüfen. Bei einer derartigen Anwendung der §§ 611a, 611b BGB ergäbe sich aus diesen, den Grundrechtsschutz des Art.3 II GG ausgestaltenden Vorschriften kein ausreichender, wirkungsvoller Schutz vor geschlechtsbezogener Diskriminierung mehr, weil sich der Arbeitgeber seiner Verantwortung unschwer entziehen könnte. Die Auslegung der Norm durch das LAG ist daher mit dem Schutzzweck des Art.3 GG nicht zu vereinbaren.

(...)

War die vorliegende Stellenausschreibung grundsätzlich geeignet, die Vermutung für eine Diskriminierung wegen des Geschlechts zu begründen, so kann es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die weiteren, vom LAG ausdrücklich offen gelassenen Umstände ankommen, etwa ob das Stellenbesetzungsverfahren zum Zeitpunkt der Bewerbung der Bewerberin bereits abgeschlossen war, wie viele Ausbildungsplätze welcher Art zu besetzen waren und Bewerber welchen Geschlechts letztlich eingestellt wurden."
 
 

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