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Arbeitsrecht
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
Benachteiligung wegen der Religion
(Diakonie wegen Diskriminierung verurteilt)
-->  "Kirchenklausel" (§ 9 AGG)

Arbeitsgericht Hamburg
Urteil vom 04.12.07

(20 Ca 105/07)
nicht rechtskräftig
AuR 2008, 109


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Leitsatz:
  Der Ausschluss einer muslimischen Bewerberin aus dem Auswahlverfahren um die Besetzung einer von einer Einrichtung des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland ausgeschriebenen Stelle einer Sozialpädagogin für ein aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds sowie des Bundes finanziertes Projekt zur beruflichen Integration von Migrantinnen und Migranten wegen Nichtzugehörigkeit zur christlichen Religion verstößt in unzulässiger Weise gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG und begründet einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung gemäß § 15 AGG. Die Voraussetzungen für eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der evangelischen Kirche oder auf eine nach der Art der Tätigkeit gerechtfertigte berufliche Anforderung i.S.v. § 9 AGG sind in einem solchen Fall nicht gegeben.
 
 
  
   aus der Pressemitteilung:   
  "Das Arbeitsgericht Hamburg hat die Arbeitgeberin zur Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 Abs.2 AGG in Höhe von 3 Monatsverdiensten verurteilt, weil sie die Bewerberin im Einstellungsverfahren wegen ihrer Religion benachteiligt habe.

Der beklagte Arbeitgeber ist der für Hamburg zuständige Landesverband des Diakonischen Werkes. Er hatte eine aus Mitteln des Bundes und der EU fremdfinanzierte Stelle für eine Sozialpädagogin / einen Sozialpädagogen in einem Teilprojekt 'Integrationlotse Hamburg' ausgeschrieben. In der Stellenanzeige heißt es: 'Dieses Projekt ist ein Schulungs- und Informationsangebot für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Bereich der beruflichen Integration von erwachsenen Migrantinnen und Migranten'. Als diakonische Einrichtung setze er die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche voraus.

Auf diese Stellenanzeige bewarb sich die klagende Arbeitnehmerin. Sie ist Deutsche türkischer Herkunft und gehört keiner christlichen Kirche an. Auf Nachfrage des Arbeitgebers teilte die Arbeitnehmerin mit, sie sei gebürtige Muslimin, praktiziere aber keine Religion. Auf die Frage, ob sie sich den Eintritt in die Kirche vorstellen könne, teilte sie mit, sie halte dies nicht für nötig, da die Stelle keinen religiösen Bezug aufweise.

Der Arbeitgeber lehnte die Bewerberin ab. Die Arbeitnehmerin fühlt sich dadurch wegen ihrer Religion sowie mittelbar wegen ihrer ethnischen Herkunft benachteiligt und nimmt den Arbeitgeber auf Entschädigungszahlung in Anspruch. Dies lehnt der Arbeitgeber ab und begründet dies damit, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion gemäß § 9 Abs.1 AGG zulässig sei, weil die christliche Religion unter Beachtung seines Selbstverständnisses sowohl im Hinblick auf sein Selbstbestimmungsrecht als auch nach Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung für die Mitarbeit im Diakonischen Werk darstelle.

Dieser Argumentation folgt die 20. Kammer des Arbeitsgerichts Hamburg im Ergebnis nicht und führt in den Urteilsgründen in den Kernsätzen Folgendes aus:

§ 9 Abs.1 AGG sei richtlinienkonform (Art.4 Abs.2 RL 2000/78/EG) auszulegen.

Bei richtlinienkonformer Auslegung sei das Selbstverständnis einer Religionsgemeinschaft kein absoluter und abschließender Maßstab für eine unterschiedliche Behandlung. Vielmehr dürfe für die konkrete Tätigkeit das Selbstverständnis der Kirche nur dann eine entscheidenden Rolle spielen, wenn diese dazu in einer direkten Beziehung stehe, was nicht für jegliche Tätigkeit bei der Kirche, sondern nur für den sog. verkündungsnahen Bereich anzunehmen sei.

Das verfassungsrechtlich garantierte kirchliche Selbstbestimmungsrecht berechtige den kirchlichen Arbeitgeber nicht, die Einstellung für Tätigkeiten im verkündungsfernen Bereich von der Kirchenzugehörigkeit abhängig zu machen. Dem sei die ausgeschriebene Stelle zuzurechnen.

Auch nach Art der Tätigkeit sei für die Stelle die Kirchenzugehörigkeit keine gerechtfertigte Anforderung.

(...)

Gegen dieses Urteil ist für die unterlegene Arbeitgeberin das Rechtsmittel der Berufung zum Landesarbeitsgericht Hamburg gegeben."
 
 
   
  
Anmerkung RA Maier:
  Das Arbeitsgericht Hamburg hatte die Diakonie zum Schadensersatz verurteilt (Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer Religionszugehörigkeit). Gegenstand des Verfahrens war insbesondere die Frage, ob die Benachteiligung nach der sog. "Kirchenklausel" (§ 9 AGG) gerechtfertigt war.

Das LAG Hamburg hat das Urteil des Arbeitsgerichts aufgehoben (Urteil vom 29.10.08). Begründung: es liege gar keine Benachteiligung vor. Die Klägerin sei für die ausgeschriebene Stellung nicht geeignet gewesen (kein abgeschlossenes Hochschulstudium, also unabhängig von der Religionszugehörigkeit). Auf die Rechtfertigung einer Benachteiligung nach der Kirchenklausel kam es deshalb gar nicht an.
 

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