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Begründung zum Justizmodernisierungsgesetz

-->  Gesetzentwurf  (mit Begründung)

B. Einzelbegründung

Artikel 1 (Änderung der Zivilprozessordnung)

zu Nummer 3 - § 91 Abs. 4

Auf Grund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils wird regelmäßig nicht nur die Vollstreckung wegen der Hauptsache betrieben. Vielmehr erfolgt regelmäßig auch eine Festsetzung der Prozesskosten im Kostenfestsetzungsverfahren. Zahlt der Schuldner (zur Abwendung der Zwangsvollstreckung) die festgesetzten Kosten, so sind sie ihm (ganz oder teilweise) zu ersetzen, wenn das vorläufig vollstreckbare Urteil im weiteren Verlauf des Rechtsstreits aufgehoben oder geändert wird, § 717 Abs.2. Diesen Schadensersatzanspruch muss der Schuldner nicht in einem besonderen Rechtsstreit geltend machen. Er kann diesen Anspruch nach § 717 Abs.2 Satz 2 auch in den laufenden Rechtsstreit einführen, aus welchem ihm dieser Anspruch erst erwachsen wird.

Diese Möglichkeit wird aber in der Praxis nicht genutzt. Sie hat nämlich zwei Folgen, die diesen Weg wenig zweckmäßig erscheinen lassen: Zum einen führt die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs zu einer Erhöhung des Streitwerts und damit auch der Kosten des Rechtsstreits. Zum anderen birgt die Geltendmachung dieses Schadensersatzanspruchs die Gefahr prozesstaktischer Nachteile in sich. Die Einführung dieses Anspruchs kann den Prozessstoff weit über den eigentlichen Anlass, nämlich die zu Unrecht gezahlten Prozesskosten, hinaus ausweiten. Der Gegner könnte auch widerklagend die Feststellung beantragen, dass weitere Schäden nicht zu ersetzen sind. Dann müsste der Schuldner sämtliche möglichen Schadenspositionen prüfen, wenn er nicht das Risiko eingehen will, Rechte zu verlieren.

Diese Nachteile haben die Praxis zu der Frage geführt, weshalb der Gläubiger seinen Kostenerstattungsanspruch auf Grund des vorläufigen Titels im vereinfachten Kostenfestsetzungsverfahren geltend machen kann, das diese Nachteile nicht hat, der zahlungsbereite Schuldner nach Aufhebung oder Änderung der Kostengrundentscheidung indessen nicht. Einen sachlichen Grund für diese unterschiedliche Behandlung gibt es nicht. Beides sind prozessuale Ansprüche, die materiell-rechtliche Entsprechungen haben. Beide werfen für sich genommen keine Schwierigkeiten auf, die eine Prüfung durch den Richter erforderlich machen. Deshalb lässt es die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur seit längerem zu, die überzahlten Prozesskosten "rückfestzusetzen". Eine solche Rückfestsetzung im Kostenfestsetzungsverfahren ist danach zulässig, wenn der Rückerstattungsanspruch dem Grunde und der Höhe nach unstreitig oder eindeutig feststellbar ist und keine materiell-rechtlichen Einwendungen erhoben werden (KG, JurBüro 1991,389ff.; HansOLG Hamburg, JurBüro 1996,593; OLG Frankfurt, NJW 1978,2203; OLG Hamm, JurBüro 1988,1033; FG Hamburg, EFG 1968,221f.; SchlHOLG, JurBüro 1971,631; OLG Koblenz, JurBüro 1988,1526; OLG Nürnberg, NJW 1973,370; OVG Berlin, KostRsp., 4.Aufl., § 162 VwGO Nr.29; OLG Düsseldorf, BauR 2001,449f.; OLG Oldenburg, Rpfleger 1978,421; OLG Stuttgart, Die Justiz 1979,136; LAG Düsseldorf, JurBüro 1992,470; Saarländisches OLG, OLGR 1998,274f.; OVG Niedersachsen, Urteil vom 22. März 2001, 1 L 4487/99, DRsp Nr.2002/3426, Rdn.20; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21.Aufl., § 104 Rdn.62; MünchKomm-ZPO/Belz, 2.Aufl., § 105 Rdn.133 u.135; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60.Aufl., § 104 Rdn.14; Musielak/Wolst, ZPO, 3.Aufl., § 104 Rdn.42; Thomas/Putzo, ZPO, 24.Aufl., § 103 Rdn.5; Zöller/Herget, ZPO, 23.Aufl., § 104 Rdn.21 "Rückfestsetzung").

Die obersten Gerichtshöfe beurteilen die Zulässigkeit dieser Praxis aber uneinheitlich. Das BAG hat sich der herrschenden Meinung angeschlossen (Urteil vom 29. Februar 1996, 6 AZR 381/95, DRsp Nr.1997/772, Rdn.46). Der BFH hat ihr indessen widersprochen (Beschluss vom 27. Juni 1972, BFHE 106,181,184). Der BGH hatte bisher noch keine Möglichkeit, diese Frage zu entscheiden. Ein Fall dieser Art ist anhängig (V ZB 53/02) und könnte zur Befassung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes führen.

Eine Rückfestsetzung überzahlter Kosten ist im Gesetz bisher nicht vorgesehen. Nach § 103 Abs.1 kann der prozessuale Anspruch auf Erstattung der Prozesskosten nur auf Grund eines zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titels geltend gemacht werden. Ein solcher Titel liegt für die Forderung der endgültig obsiegenden Partei auf Rückzahlung von Prozesskosten, die sie als zunächst unterlegene Partei aufgrund eines inzwischen wirkungslos gewordenen Kostenfestsetzungsbeschlusses dem Gegner erstattet hat, nicht vor. Die ursprünglich festgesetzten und nunmehr zurückzuzahlenden Prozesskosten des zunächst Obsiegenden werden nicht vom endgültigen Kostengrundtitel erfasst. Sie fallen nicht unter den Begriff der Prozesskosten im Sinne des § 91, weil sie der endgültig Obsiegende nicht zu seiner Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aufgewandt hat (OLG Köln, Rpfleger 1976,221; OLG München, JurBüro 1993,676; VG Gelsenkirchen, JurBüro 1983,1563). Die auf den ursprünglichen Kostenfestsetzungsbeschluss gezahlten Beträge stellen auch keine Kosten der Zwangsvollstreckung im Sinne des § 788 Abs.1 dar, die nach Aufhebung des Urteils, aus dem die Zwangsvollstreckung erfolgt ist, gemäß § 788 Abs.3 vom Gegner zu erstatten und auf Antrag gemäß § 788 Abs.2 durch Kostenfestsetzungsbeschluss titulierbar wären. Sie sind nur die Folge einer Zwangsvollstreckung. Der Rückzahlungsanspruch findet seine Grundlage vielmehr in § 717 Abs.2 Satz 1, wonach bei Aufhebung oder Abänderung eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils der Kläger (bzw. der Vollstreckungsgläubiger) zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, der dem Beklagten (bzw. dem Vollstreckungsschuldner) durch die Vollstreckung des Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollsteckung erbrachte Leistung entstanden ist. Dieser Anspruch muss tituliert werden. Es ist daher angezeigt, die herrschende Praxis gesetzlich abzusichern.
 
 

Rechtsanwalt Arne Maier, Am Kronenhof 2, 73728 Esslingen