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Arbeitsrecht
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
Benachteiligung wegen des Geschlechts
Eingruppierung nach Berufsjahren:
Berücksichtigung der Elternzeit?


Arbeitsgericht Heilbronn
Urteil vom 03.04.07
(5 Ca 12/07)
AuR 2007, 391


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   aus den Entscheidungsgründen:   
  "2. Die Nichtberücksichtigung der Elternzeiten bei der Ermittlung der Berufsjahre verstößt weder gegen die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) noch gegen sonstiges Recht.

a) Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts nach den §§ 1, 3 Abs.1 AGG liegt nicht vor. Der Tarifvertrag differenziert nicht nach der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht. Die Nichtberücksichtigung der Elternzeiten trifft sowohl Frauen als auch Männer, die dieses Recht in Anspruch nehmen.

b) Allerdings führt die tarifvertragliche Regelung zu einer mittelbaren Ungleichbehandlung von Frauen gegenüber Männern. Es steht empirisch außer Zweifel, dass weitaus mehr Mütter die Möglichkeit der Elternzeit in Anspruch nehmen als Väter. Die Nichtberücksichtigung der Elternzeit bei der Ermittlung der Berufsjahre trifft daher überwiegend Frauen. Hierin liegt jedoch keine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts nach den §§ 1, 3 Abs.2 AGG. Denn diese unterschiedliche Behandlung ist aufgrund der beruflichen Anforderungen gemäß § 8 Abs.1 AGG gerechtfertigt.

Nach § 8 Abs.1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes (Geschlecht) zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Die Klägerin übt als Bankkauffrau und Basisberaterin für Privatkunden eine verantwortungsvolle Tätigkeit aus. Sie hat die Privatkunden bei Kapitalanlagen und bei der Vergabe von Krediten bis zu einer Darlehenssumme von EUR 50.000,00 zu beraten. Die Tarifvertragsparteien haben hinsichtlich dieses Tätigkeitsbildes, das nach der Tarifgruppe 5 bewertet wird, eine siebenstufige Staffelung nach Berufsjahren vorgesehen. Sie wollten damit die Berufserfahrung, die den Arbeitnehmer befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten, honorieren. Der Europäische Gerichtshof hat das Modell der Gehaltssteigerung nach Berufsjahren als ein legitimes Ziel der Entgeltpolitik des Arbeitgebers akzeptiert (Urteil vom 03.10.2006, C-17/05, EuZW 2006, 693). Verwendet der Arbeitgeber ein Entgeltsystem, in welchem er die Berufserfahrung gehaltssteigernd berücksichtigt, so muss er nicht besonders darlegen, dass der Rückgriff auf das Kriterium der Berufserfahrung für den konkreten Arbeitsplatz geeignet ist. Vielmehr gilt die Regel, dass die Berufserfahrung den Arbeitnehmer befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten.

Diese vom EuGH für einen einzelnen Arbeitgeber aufgestellten Grundsätze gelten erst recht für einen Tarifvertrag. Aufgrund dessen Richtigkeitsgewähr ist die Entscheidung der Tarifvertragsparteien, das Entgeltsystem u.a. an die Berufserfahrung anzuknüpfen, zu respektieren.

Die Klägerin hat keine Anhaltspunkte vorgetragen, die das Entgeltsystem des Gehaltstarifvertrags Volksbanken ernstlich in Frage stellen könnten. Die Beklagte muss daher nicht näher darlegen, weshalb die Berufserfahrung für die Tätigkeit der Klägerin von Bedeutung ist. Auch wenn die Anwendung der tarifvertraglichen Regelung tatsächlich die überwiegende Zahl der betroffenen Frauen gegenüber Männern nicht gleichbehandelt, so ist dies daher als Folge des Entgeltsystems hinzunehmen (EuGH, Urteil vom 03.10.2006, a.a.O.). Nach § 8 Abs.1 AGG ist die Nichtberücksichtigung der Elternzeiten im Hinblick auf die auszuübende Tätigkeit und die Bedeutung der Berufserfahrung gerechtfertigt.

c) Aus den vorgenannten Gründen kann auch kein Verstoß gegen den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder Artikel 141 EG-Vertrag angenommen werden. Die Tarifvertragsparteien haben ein differenziertes Modell entwickelt, das nicht als unverhältnismäßig angesehen werden kann. Sie haben berücksichtigt, dass in den unteren Tarifgruppen andere Berufserfahrungszeiten vorhanden sind, als in höheren Tarifgruppen. Für die Tarifgruppe 5 haben sie sich dazu entschieden, nach dem 11. Berufsjahr keine weitere Differenzierung vorzunehmen. Für die Klägerin bedeutet dies, dass nach dem Erreichen des 11. Berufsjahres die Kindererziehungszeiten nicht mehr von Bedeutung sind."
 
 
  
   Anmerkung RA Maier:   
  Das Urteil mag im Ergebnis richtig sein, die Begründung des Arbeitsgerichts Heilbronn über § 8 Abs.1 AGG will dagegen nicht einleuchten.

Gemäß § 8 Abs.1 AGG ist eine Benachteiligung (ausnahmsweise und nur dann) zulässig (gerechtfertigt), wenn es um eine "wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung" geht (z.B. Mann als Dressman). Diese Voraussetzung lag in dem Fall des Arbeitsgerichts Heilbronn nicht vor. Es ist nämlich nicht erkennbar, inwieweit die Frage, in welche Entgeltgruppe ein Arbeitnehmer eingruppiert ist, eine "wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung" darstellt. Und auch der Umstand, dass die dortige Klägerin eine "verantwortungsvolle Tätigkeit" ausübt, kann für die Rechtfertigung einer Benachteiligung keine Rolle spielen.

Nachdem das Arbeitsgericht Heilbronn zunächst feststellt, dass es im dortigen Fall nicht um eine unmittelbare, sondern (nur) um eine mittelbare Benachteilgung geht, bleibt unklar, warum das Arbeitsgericht Heilbronn überhaupt den Weg über § 8 Abs.1 AGG wählt. Der Fall wäre stattdessen über § 3 Abs.2 AGG zu lösen gewesen. Hiernach ist eine mittelbare Benachteiligung schon dann zulässig (gerechtfertigt), wenn die Maßnahme durch einen "sachlichen Grund" gerechtfertigt ist (genauer: es liegt dann schon gar keine Benachteiligung vor). Um eben diesen "sachlichen Grund" geht es auch in der Begründung des Arbeitsgerichts Heilbronn und in dem dort in Bezug genommenen EuGH-Urteil vom 03.10.06. Die "wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung" des § 8 Abs.1 AGG hat in diesem Zusammenhang nichts zu suchen.

Dabei handelt es sich nicht nur um einen "Schönheitsfehler", sondern um ein grundlegendes Missverständnis der Regelungen zur Zulässigkeit (Rechtfertigung) einer Benachteiligung nach dem AGG. Vorliegend ging es (nur) um eine mittelbare Benachteiligung, so dass sich dieses Missverständnis im Ergebnis nicht ausgewirkt hat. In Fällen unmittelbarer Benachteiligungen hätte diese Aushöhlung der Voraussetzungen des § 8 Abs.1 AGG aber fatale Folgen.

Im Einzelnen verweise ich hierzu auf meine Urteilsanmerkung in der Zeitschrift Arbeit und Recht (AuR), 2007, S.392 (Heft 11).
 
 

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