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Arbeitsrecht
Kündigung des Arbeitgebers
Anzeigepflicht bei Massenentlassungen: Zeitpunkt
  • EuGH, Urteil vom 27.01.05
  • BAG, Urteil vom 23.03.06
  • BAG, Urteil vom 13.07.06
  • § 17 KSchG

  • Arbeitsgericht Bochum
    Urteil vom 17.03.05
    (3 Ca 307/04)
    NZA 2005, 587
    DB 2005, 1064


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    Leitsätze:
    1.  Durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist geklärt, dass die Richtlinie 98/59/EG (...) auch den Zweck hat, die einzelnen Arbeitnehmer vor Massenentlassungen zu schützen. Für eine bewusste Abweichung des deutschen Gesetzgebers bei Umsetzung der Richtlinie durch §§ 17, 18 KSchG ist nichts ersichtlich, so dass die Zwecksetzung der Richtlinie auch der Auslegung des deutschen Rechts zugrunde zu legen ist.
    2.  Unterrichtung und Beratung des Betriebsrats sowie die Anzeige an die Agentur für Arbeit nach § 17 KSchG sind nur rechtzeitig, wenn sie vor dem Ausspruch der Kündigung erfolgen. Diese ist insoweit das Ereignis, das in § 17 KSchG als Entlassung bezeichnet ist. Daher sind auch die Schwellenwerte in § 17 Abs.1 KSchG auf diesen Zeitpunkt zu beziehen.
    3.  Dagegen bezieht sich das Wirksamwerden der Entlassungen in § 18 Abs.1 KSchG sowie deren Durchführung nach § 18 Abs.4 KSchG auf die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Mit diesem Begriffsverständnis lässt sich das deutsche Recht in die Systematik der Art.2-4 der Richtlinie 98/59/EG, die durch eine vergleichbare Differenzierung gekennzeichnet sind, widerspruchsfrei einfügen.
    4.  Eine Kündigung, die unter Verletzung der Konsultations- und Anzeigepflichten nach § 17 KSchG ausgesprochen ist, ist unwirksam. Diese Rechtsfolge ergibt sich bei richtlinienkonformer Auslegung sowohl aus dem Äquivalenzgebot wie aus dem Effektivitätsgebot. In Anwendung dieser aus dem Gemeinschaftsrecht folgenden Pflicht ist es hinreichend, wenn im nationalen Recht eine vertretbare Konstruktion für diese Rechtsfolge besteht. Mit der früheren Judikatur des Bundesarbeitsgerichts und gewichtigen Stimmen in der Literatur sind hinreichend tragfähige Begründungen im nationalen Recht vertreten, auf die zurückzugreifen ist. Ob der einzelne Arbeitnehmer gehalten ist, sich ausdrücklich auf diese Unwirksamkeit zu berufen, bedarf keiner Entscheidung.
    5.  Verwaltungsakte der Agentur für Arbeit, die ohne Prüfung, ob im Zeitpunkt der Vornahme der Kündigungserklärung die Massenentlassungsanzeige bereits erstattet war, erfolgt sind, können für das arbeitsgerichtliche Kündigungsschutzverfahren keine Tatbestandswirkung entfalten. Ob und inwieweit in anderen Fällen eine solche Tatbestandswirkung anzunehmen ist, war in diesem Verfahren nicht zu entscheiden.
    6.  Die Anwendung dieses Kündigungsverbots ist im vorliegenden Fall nicht durch Grundsätze des Vertrauensschutzes ausgeschlossen. Gemeinschaftsrechtlich ist zu beachten, dass der Gerichtshof von der Möglichkeit der Beschränkung einer Rückwirkung seiner Entscheidung keinen Gebrauch gemacht (hat). Dem nationalen Recht ist ein genereller Schutz gegen eine Rückwirkung der Rechtsprechung nicht zu entnehmen; Rechtssetzung und Rechtsfindung sind zu unterscheiden. Einem Vertrauensschutz steht für Kündigungen im Jahr 2004 bereits der Umstand entgegen, dass durch den Vorlagebeschluss des ArbG Berlin, der bereits 2003 in großer Intensität publiziert und diskutiert worden ist, die bisherige Auslegung der §§ 17, 18 KSchG nicht als zweifelsfrei angesehen werden konnte.
     

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