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Arbeitsrecht
Widerruf des Aufhebungsvertrages ?

Landesarbeitsgericht Brandenburg
Urteil vom 30.10.02
(7 Sa 386/02)
NZA 2003, 503
BB 2003, 1281
ZIP 2003, 1214


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aus den Entscheidungsgründen:
  "Die Klägerin hat den Aufhebungsvertrag nicht wirksam widerrufen. Denn die Vorschriften der §§ 312 Abs. 1 Satz 1, 355 BGB n.F. finden auf den streitgegenständlichen Aufhebungsvertrag keine Anwendung.

a) Der im Jahre 2002 geschlossene Aufhebungsvertrag unterfällt nach Art. 229 § 5 EGBGB nicht den Vorschriften des BGB in der ab dem 01.01.2002 geltenden Fassung.

Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB regelt, dass auf Schuldverhältnisse, die vor dem 01.01.2002 enstanden sind, das BGB in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung anzuwenden ist. Satz 2 enthält eine Sonderregelung für Dauerschuldverhältnisse; danach gilt das neue Schuldrecht für Dauerschuldverhältnisse, die vor dem 01.01.2002 entstanden sind, erst ab dem 01.01.2003. Für "Altverträge" gilt daher bis zum 31.12.2002 das BGB in der alten Fassung.

Maßgeblich ist nach Art. 229 § 5 EGBGB damit die Entstehung des Schuldverhältnisses. Das streitgegenständliche Arbeitsverhältnis ist vor dem 01.01.2002 entstanden. Da es sich um ein Dauerschuldverhältnis handelt, gilt das alte Recht nach Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB für das Arbeitsverhältnis bis zum 31.12.2002 im Ganzen, d.h. für seine Durchführung und seine Beendigung (...). Durch den Aufhebungsvertrag wird ein Schuldverhältnis nicht begründet, sondern beendet.

b) Unabhängig von Art. 229 § 5 EGBGB stand der Klägerin ein Widerrufsrecht nicht zu, weil §§ 312, 355 BGB n.F. auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge grundsätzlich nicht anwendbar sind. Das ergibt sich aus Wortlaut, Systematik sowie Entstehungsgeschichte der Vorschrift.

§ 312 Abs. 1 Satz 1 BGB setzt als Gegenstand des Haustürgeschäfts eine Entgeltleistung voraus.

Durch den Vertrag muss also mindestens eine Schuld des Verbrauchers begründet werden, wobei dahinstehen kann, ob es sich hierbei um einen gegenseitigen Vertrag handeln muss (...). Durch den Aufhebungsvertrag als solchen wird jedoch eine Schuld des Arbeitnehmers nicht begründet; vielmehr handelt es sich um einen Verfügungsvertrag (...), auf den nach der bisherigen Rechtslage das Haustürwiderrufsgesetz nicht anwendbar war (...). Nach dem Wortlaut reicht es nicht aus, dass der Arbeitnehmer eine Rechtsposition aufgibt, da hierdurch kein Anspruch des Arbeitgebers begründet wird.

Ob dem Arbeitnehmer eine Abfindung zugesagt wird, ist für die Frage der Entgeltlichkeit unerheblich, da es bei richtlinienkonformer Auslegung des § 312 BGB nur darauf ankommt, ob sich der Verbraucher zu einer entgeltlichen Leistung verpflichtet (...).

Demgegenüber ist im Entscheidungsfall nicht von Bedeutung, dass in § 312 Abs. 1 Satz 1 BGB die mündliche Verhandlung am Arbeitsplatz des Verbrauchers als Haustürsituation definiert wird. Die in den Ziff. 1 bis 3 der genannten Vorschrift genannten Situationen beschreiben nur das Räumliche Umfeld, durch das der im Eingangssatz der Vorschrift vorausgesetzte Vertrag zum Haustürgeschäft wird. Die Rechtsfolge des § 312 BGB - Widerrufsrecht - entsteht aber erst dann, wenn auch das im Eingangssatz genannte Tatbestandsmerkmal - Vertrag, der eine entgeltliche Leistung zum Gegenstand hat - erfüllt ist.

Die Systematik des § 312 BGB spricht deutlich dafür, dass Aufhebungsverträge unabhängig vom Ort des Vertragsschlusses keine Haustürgeschäfte sind.

§ 312 steht im Abschnitt 3 Titel 1 Untertitel 2 des 2.Buches des BGB. Dieser Untertitel ist überschrieben mit: "Besodere Vertriebsformen". Dass diese Überschrift ernst gemeint ist, ergibt sich daraus, dass neben dem Haustürgeschäft in diesem Untertitel auch der Fernabsatzvertrag und der elektronische Geschäftsverkehr geregelt sind.

Weiterhin ist der amtliche Hinweis von Bedeutung, dass dieser Untertitel der Richtlinie 85/577/EWG betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen diene. Aus dem Wortlaut der Richtlinie folgt, dass unter sie nur Verbindlichkeiten fallen, die ein Verbraucher im Rahmen eines Haustürgeschäfts gegenüber einem Gewerbetreibenden aks Gegenleistung für Waren oder Dienstleistungen eingeht (...). Dem Gesetz lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung dieser Richtlinie über der Anwendungsbereich hinaus arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge dem Widerrufsrecht unterstellen wollte.

Auch der Blick auf die §§ 305ff BGB n.F. zeigt, dass arbeitrechtliche Aufhebungsverträge nach dem Willen des Gesetzgebers keine Haustürgeschäfte i.S.d. § 312 BGB sein sollen.

Der Gesetzgeber hat bei der Schuldrechtsnovelle das Problem der Einbeziehung arbeitsvertraglicher Vereinbarungen in das allgemeine Verbraucherschutzrecht durchaus erkannt. Mit § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB hat er - in Abänderung der bisherigen Rechtslage - bestimmt, dass grundsätzlich Arbeitsverträge der gerichtlichen Vertragsinhaltskontrolle nach den Maßstäben der §§ 305ff BGB unterliegen. Für den zweiten Untertitel "Besondere Vertriebsformen" hat der Gesetzgeber hingegen die Anwendbarkeit auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge nicht vorgesehen.

Schließlich spricht die über das BGB hinausgreifende systematische Betrachtung eher für den Willen des Gesetzgebers, Aufhebungsverträge nicht den §§ 312, 355 BGB zu unterstellen.

Ein gemäß § 355 Abs. 3 Satz 3 BGB im Falle nicht ordnungsgemäßer Belehrung unbefristetes Widerrufsrecht lässt sich mit den in §§ 4, 7 KSchG und neuerdings in § 17 TzBfG zum Ausdruck kommenden Anliegen des Gesetzgebers, innerhalt von 3 Wochen Klarheit darüber zu schaffen, ob ein Arbeitnehmer die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses in Zweifel zieht, nicht vereinbaren.

Die Entstehungsgeschichte spricht ebenfalls gegen die Einbeziehung arbeitsrechtlicher Aufhebungsverträge. (...)

Die Frage, ob ein Arbeitnehmer allgemein oder nur in bestimmten Fällen Verbraucher i.S.d. § 13 BGB sind, bedurfte nach alledem keiner Entscheidung.

Die fachrichterliche Pflicht zur verfassungskonformen Auslegung einfachrechtlicher Vorschriften führt nicht zu einem anderen Ergebnis; eine Ausdehnung des §§ 312 BGB über Wortlaut und Systematik hinaus auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge ist jedenfalls im Entscheidungsfall von Verfassungs wegen nicht geboten. (...)

Nach diesen Grundsätzen besteht von Verfassungs wegen keine generelle Notwendigkeit, dem Arbeitnehmer beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages über den vom Gesetzgeber vorgesehenen Anwendungsbereich hinaus ein Widerrufsrecht zuzubilligen. Im Arbeitsrecht sind Störungen der Vertragsparität zwar besonders häufig anzutreffen; dies ist seine eigentliche Existenzberechtigung als Arbeitnehmerschutzrecht. Der ebenfalls grundrechtlich geschützten Privatautonomie ist aber gleichermaßen Rechnung zu tragen. Das starke Übergewicht des Arbeitgebers, durch welches er vertraglicheRegelungen faktisch einseitig setzen unddamit den Arbeitnehmer zur Aufgabe grundrechtlich gesvhützter Positionen bestimmen kann, muss dahier im Einzelfall konkret festgestellt werden (...), wobei nicht jeder Störfaktor auszugleichen ist.

In welchen Fallkonstellationen eine einseitige Lösungsmöglichkeit des Arbeitnehmers verfassungsrechtlich erforderlich ist und ob dies in erweiternder Auslegung der Tabestandsmerkmale des § 123 BGB oder des Anwendungsbereiches des §§ 312 BGB zu geschehen hat, kann dahinstehen. Voraussetzung wäre aus den dargestellten Grundsätzen zur Schutzpflicht jedenfalls, dass eine die Vertragsparität grundlegend störende "Überrumpelungslage" besteht. Es ist von Verfassungs wegen daher nicht geboten, den Anwendungsbereich dieser Vorschrift auf Fälle zu erstrecken, in denen der Aufhebungsvertrag geschlossen wurde, ohne dass der Arbeitnehmer überraschend und daher unvorbereitet zum Vertragsschluss gedrängt und dadurch in seinen Reaktionsmöglichkeiten (der wirklich freien Willensbildung) eingeschränkt wurde.

Das Arbeitsgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Klägerin aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls (lang andauernde krankheitsbedingte Abwesenheit vom Arbeitsplatz, Absprache eines Gesprächstermins mit dem Geschäftsführer des Beklagten in dessen Büro, Bewusstsein der Klägerin, dass es in diesem Gespräch "um die Kündigung" gehen werde) nicht in einer von §§ 312 BGB geforderten Überrumpelungslage befunden hat. Durch den Abschluss des Aufhebungsvertrags in den Geschäftsräumen des Beklagten ist nicht ohne Weiteres von einer erheblichen Vertragsdisparität, hervorgerufen durch eine Überrumpelung, auszugehen. (...)"
 

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