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EzB - Entscheidungen zum Bankrecht
Lehman-Zertifikate; keine Aufklärungspflicht über
"übliche" Gewinnspanne
LG Chemnitz,
Urteil vom 23.06.2009
- 7 O 359/09 - (nicht rechtskräftig)
Commerzbank (Schadensersatz: gut 25.000 Euro)
Begriffe:
Anlageberatung, Aufklärungspflicht, Schadensersatz, Lehman-Zertifikate, Rückvergütungen, Kick-Backs,
übliche Gewinnspanne, Handelsspanne, Kausalität, Kausalitätsvermutung,
Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, Entscheidungskonflikt, Emittentenrisiko,
Totalverlustrisiko, anlegergerechte Beratung, Risikoprofil |
Leitsätze RA Maier:
1. Erwirbt eine Bank von der Emittentin Wertpapiere mit einem Preisabschlag,
um sie an Kunden weiterzuveräußern, handelt es sich
um eine übliche Handelspanne, mit der der Kunde rechnet.
Die beratende Bank muss dem Kunden diese Handelsspanne nur dann
offenbaren, wenn sie außergewönlich hoch ist.
2. Anfang 2007 war das Bonitätsrisiko von Lehman Brothers vernachlässigbarer,
theoretischer Natur. Die beratende Bank musste beim Vertrieb
von Lehman-Zertifikaten auf dieses Risiko nicht hinweisen.
3. Zertifikate als Aktienderivate entsprechen nicht dem Risikoprofil eines Anlegers,
der den Aktienanteil in seinem Wertpapierdepot reduzieren und Risiken
vermeiden will. Bei einem solchen Risikoprofil darf die beratende Bank
keine Zertifikate empfehlen.
Mitteilung des Landgerichts Chemnitz:
"Nach einer Entscheidung der 7. Zivilkammer des Gerichts muss eine Bank ihrem Kunden
wegen fehlerhafter Beratung Schadenersatz leisten. Der Kunde hatte auf Empfehlung der Bank
Zertifikate einer inzwischen insolventen Investmentbank erworben, obwohl er Risiken in Zukunft vermeiden
und deshalb den Aktienanteil in seinem Depot verringern wollte. Die Zertifikate waren aber
auf Aktienindizes bezogen.
Nicht entscheidend war hingegen, dass kein Hinweis auf das Insolvenzrisiko der Emittentin und
über von dieser bezogene Vergütungen erfolgte."
Aus den Entscheidungsgründen:
"(1) Fraglich ist hier aber, ob die vorliegende Vergütung eine Rückvergütung im Sinne der Rechtsprechung des BGH ist.
Die Beklagte erhält von der Emittentin einen Abschlag auf den Kaufpreis
für den Erwerb und verkauft weiter an den Anleger zum festgelegten Ausgabepreis.
In der Spanne liegt ihr Gewinn. Werden Anteile an Investmentfonds veräußert,
erwirbt der Kunde mit einem an die Fondsgesellschaft zu bezahlenden Ausgabeaufschlag.
Bezahlt diese einen Teil hieraus zurück an die Bank, besteht die Gefahr,
dass sie nicht unbeeinflusst von dieser Aussicht auf Rückzahlung berät.
Inbesondere im Vergleich zu Alternativ-Fonds von Gesellschaften, die keine Rückvergütungen
gewähren, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Empfehlungen unbeeinflusst ausgesprochen
werden. Werden aber Papiere von der Emittentin mit einem Preisabschlag (...) zunächst erworben,
um sie dann weiterzuveräußern, handelt es sich um eine übliche Handelsspanne,
mit der der Kunde rechnet. Billigerweise kann er nicht erwarten, ohne Vergütung beraten zu werden.
Nach Auffassung des Gerichts ist bei dieser Sachlage eine Provision nur dann offenbarungspflichtig,
wenn diese außergewöhnlich hoch ist. (...)
(2) Ferner kann vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei Kenntnis der von der Beklagten
unwidersprochen vorgetragenen Vergütung von 3,5% von den streitgegenständlichen Geschäften Abstand
genommen hätte. Nach dem Sachvortrag der Parteien deutet nichts darauf hin, dass der Kläger
bei entsprechender Kenntnis auf eine Geldanlage verzichtet hätte. (...) Bei dieser Interessen- und
Kenntnislage des Klägers kann nicht davon ausgegangen werden, dass er auf die Geldanlage
verzichtet und eine weniger lukrative gewählt hätte. Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens besteht hier
nicht darin, dass er von dem Geschäft Abstand genommen hätte. Die Kausalitätsvermutung
bei Aufklärungspflichtverletzungen setzt voraus, dass es nur eine bestimmte Möglichkeit
"aufklärungsrichtigen" Verhaltens gibt. Hingegen ist diese Vermutung nicht begründet, wenn eine
gehörige Aufklärung beim Vertragspartner eine Entscheidungskonflikt ausgelöst hätte,
weil es vernüftigerweise nicht nur eine, sondern mehrere Möglichkeiten aufklärungsrichtigen
Verhaltens gab (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2004,
XI ZR 178/03).
(3) Unerheblich ist ein zum Beratungs- und Erwerbszeitpunkt unterbliebener Hinweis auf das Emittentenrisiko.
Das Bontitätsrisiko der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers war zu Beginn
des Jahres 2007 vernachlässigbarer, theoretischer Natur (vgl. LG Frankfurt a.M.,
Urteil vom 28.11.2008, 2-19 O 62/08). (...)
(4) Die Beklagte hat nicht anlegergerecht beraten. Die verkauften Zertifikate entsprachen nicht dem Risikoprofil
des Klägers. (...)"
Anmerkung RA Maier:
Das Urteil mag im Ergebnis (4) richtig sein. Die Begründung, mit welcher das Landgericht
eine Aufklärungspflicht der beratenden Bank über ihre Gewinnspanne verneint (1),
kann jedoch nicht überzeugen. Insoweit muss zunächst ein Formulierungsfehler des Landgerichts
korrigiert werden. Der Halbsatz, wonach "nicht ausgeschlossen werden (kann), dass die Empfehlungen unbeeinflusst
ausgesprochen werden" (1), muss richtig heißen: es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Empfehlungen
beeinflusst (von der Rückvergütung!) ausgesprochen werden. Wenn die beratende Bank
eine Rückzahlung von der Fondsgesellschaft erhält, dann darf der Kunde anscheinend
davon ausgehen, dass die Bank ohne Vergütung berät. Wenn die beratende Bank
das Zertifikat dagegen weiterveräußert, dann soll der Kunde mit einer Vergütung
(Gewinnspanne) der Bank rechnen müssen. Ein Grund für diese Differenzierung ist nicht erkennbar.
Auch die Ausführungen des Landgerichts zum angeblichen "Entscheidungskonflikt" des Anlegers, der einer
Kausalitätsvermutung entgegenstehen soll (2), überzeugen nicht. Das Landgericht stellt hier auf die Werthaltigkeit
der Anlage ab; die Gewinnspanne der Bank stelle diese Werthaltigkeit nicht in Frage.
Bei der Aufklärungspflicht über Rückvergütungen geht es aber gerade nicht um die Werthaltigkeit
der Anlage, sondern um den Interessenkonflikt des Beraters. Dieser Interessenkonflikt besteht unabhängig
von der Höhe der Rückvergütung (z.B. OLG Karlsruhe, Urteil vom 03.03.2009). Verlangt man dann im Rahmen der Kausalität
eine bestimmte Höhe der Rückvergütung, so hebelt man damit die Aufklärungspflicht
quasi "durch die Hintertür" wieder aus. Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens geht dahin,
dass der Anleger von der empfohlenen Anlage absieht, wenn ihm der Interessenkonflikt
seines Beraters bekannt ist. Dabei besteht kein Entscheidungskonflikt.
Siehe auch Rechtsprechungsübersicht
zu den Lehman-Zertifikaten. |
Fundstellen in Zeitschriften:
WM 2009, 1505
ZIP 2009, 2241 (LS)
EWiR 2009, 703 (Maier)
nicht rechtskräftig
Aktenzeichen beim OLG Dresden: 5 U 1178/09
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